Kanada – während der Schulzeit

Im Januar 2006 hatte ich mich für den dreimonatigen Austausch mit Québec, Kanada beworben. Im Juni kam dann der Anruf des Bayerischen Jugendrings, ich hätte einen Platz bekommen. Dann verdrängte ich die große Reise, bis dann schließlich Mitte September meine Austauschpartnerin Laurence am Münchner Flughafen ankam. Nach anfänglichen Sprachschwierigkeiten (sie hatte Deutsch nicht als Unterrichtsfach gehabt, lediglich einen 10- stündigen Intensivkurs mitgemacht) kamen wir dann doch ganz gut miteinander zurecht. Laurence flog Anfang Dezember wieder nach Hause und auch mein Flug rückte unerbittlich näher. Sie hatte mir zwar Bücher, Broschüren und Zeitschriften über ihre Heimat mitgebracht und mir auch viel erzählt, aber wirklich viel wusste ich nicht über das zweitgrößte Land der Welt. Eine Woche vor Abflug wollte ich schon gar nicht mehr weg, die Aussicht auf 3 Monate ohne Familie, Freunde und Deutschland war schon irgendwie beängstigend.

Im Flugzeug las ich dann ein „Geo- Special“- Heft über Kanada.

Trotzdem hatte ich immer noch Bilder von unberührten Nadelwäldern, Schnee und Grizzlybären im Kopf. Die Fahrt von Montréal nach Québec mit dem Bus zeigte mir aber schnell, dass davon nicht mehr viel übrig war. Durch den grenzenlosen Reichtum an Natur und natürlichen Ressourcen veranlasst, wucherten überall Bungalowsiedlungen, Müllkippen und Schrottplätze. Achtspurige Highways zogen sich durch die Landschaft und der trübe Regentag tat sein Übriges, um mir einen ersten, enttäuschenden Eindruck meiner „Wahlheimat auf Zeit“ zu geben.

Meine Gastfamilie holte mich an der Bushaltestelle ab und wir fuhren nach Hause. Leider stellte sich Beaumont als winziges Dorf irgendwo auf dem Land heraus, ohne Bushaltestelle, oder öffentlichem Leben, lediglich ein kleiner heruntergekommener Lebensmittelladen quetschte sich, 50 m von unserem Haus entfernt, zwischen einen Butangas- Handel und eine Videothek und bildete damit das Zentrum.

Die drei Monate verliefen verhältnismäßig ruhig, ich ging jeden Tag 8 Stunden in die Schule, wir fuhren 45 Minuten hin und 45 Minuten zurück, abends schrieb ich Emails oder las. Nachdem ich an das Brucker Nachtleben gewöhnt bin, musste ich mir irgendwann gezwungenermaßen eine Beschäftigung suchen und entdeckte die wundervolle Natur, hier auf dem Land. Ich fand einen Zugang zum St. Lorenz- Strom, sah dort einen großen schwarzen Felsen, beschlagnahmte ihn und machte nun jeden Tag lange Spaziergänge hin und zurück, saß stundenlang am Ufer und beobachtete Frachter, Containerschiffe und Eisbrecher.

So langweilig manchmal das Leben dort war, geistig war ich voll ausgelastet. Ich sprach nur noch Französisch, kein Wort Deutsch und erst recht kein Englisch, lernte unglaublich viel über Land und Leute und lernte den deutschen Stoff mit. Nach drei Wochen fanden in der Provinz die Wahlen für den neuen Ministerpräsidenten statt und ich beschäftigte mich näher mit Politik. Es machte mich ein bisschen wütend, dass schon wieder ein Konservativer gewonnen hatte, unterstützt von der Lobby für fossile Brennstoffe. Und, wie sich raus stellte, hatten die USA ihm den Wahlkampf gesponsert. Abende lang stritt ich mich mit meiner Familie und deren Freunden, die mir von der „nationalen Angst“ vor Amerika erzählten, das auf Kanadas Ressourcen spekuliert, dem schwachen, wehrlosen Kanada und man könne ja eh nichts machen. Sie bezeichneten mich als „rückständige Europäerin“, die immer noch an den Traum der erneuerbaren Energien glaube (Nuklearenergie wäre ja viel sauberer…) und was wüssten wir denn schon in unserem wohlbehüteten, alten Europa von wahrer Politik, der Kampf gegen den internationalen Terror würde halt seine Opfer fordern und überhaupt hätten wir uns ja auch nie behaupten müssen…

Hin und wieder hat auch die ganze Familie etwas unternommen. So sind wir fast jedes Wochenende Skifahren gegangen in der Gegend um Québec oder auch mal weiter weg in einem der größeren Skigebiete. Auch Langlaufen konnte man dort gut, die Loipe fing direkt hinter dem Haus an und führte dutzende Kilometer weit durch die angrenzenden Wälder. Außerdem war das ganze Land durch Schneemobil- Pisten erschlossen, die spezielle Beschilderungen hatten, aber sonst wie ganz normale Strassen genutzt wurden. Mit dem Schneemobil der Familie haben wir öfters mal einen Tagesausflug durch die Natur gemacht.

Pauline, eine Freundin von mir war zur selben Zeit für ein ganzes Jahr in Montreal. Während den Carnaval- Ferien stieg ich in den Überlandbus und besuchte sie spontan bei ihren Gasteltern. Nach 6-stündiger Fahrt sahen wir uns das erste Mal nach 6 Monaten wieder. Die Begrüßung war entsprechend stürmisch. Vier Tage lang zogen wir durch Montreal, besichtigten viele Sehenswürdigkeiten und ich brachte Pauline auf den neuesten Stand über die Ereignisse in Deutschland. Wenn man so lange von Zuhause weg ist, dann bricht man gezwungenermaßen den intensiven Kontakt mit der Heimat ab, und dann erfährt man halt auch nicht so viel…

An Ostern telefonierte ich mit meinen Eltern, die mir erzählten, dass es in Deutschland über dreißig Grad warm wäre und sie schwitzend auf der Terrasse sitzen würden. Ich fand es nicht so toll, da wir Ostern bei den Großeltern meiner Gastschwester verbrachten und es dort in einer Nacht eineinhalb Meter Neuschnee gegeben hatte. Ihr Haus lag einige hundert Kilometer nördlicher als Québec und dort hatte es an Ostern auch noch gut minus dreißig Grad!

Gegen Ende meines Aufenthaltes hatte ich auch noch die Möglichkeit in die USA zu reisen da Laurences Vater dort einen Auftrag erledigen musste. Also buchten wir 4 Nächte im Bostoner Hyatt- Hotel und fuhren mit der doppelt bereiften „heavy- duty“ – Dodge RAM 12 Stunden über den Higehway quer durch Maine. Wir brauchten unglaublich viel Sprit und dieses Auto ist dazu noch furchtbar unbequem, aber es war wirklich ein Erlbenis der besonderen Art. Wir konnten natürlich nicht vorhersehen, dass die Bostoner Innenstadt viel zu enge Strassen für so ein Riesenauto hat… :-)

Vorallem im März war das Wetter schlecht, es hatte insgesamt sechs Wochen lang -35°C und Schneestürme, die Schule viel ständig aus und genauso der Strom. Ende April war es dann richtig warm mit ungefär 0°C und man konnte sogar schon im T- Shirt nach draussen gehen. Nach 2 Monaten polarer Kälte kam einem dieses Wetter schon fast sommerlich vor.

Irgendwann sprach ich meine Gastmutter auch auf heiklere Themen an. Warum man so wenig auf die Natur achtet („Wir haben doch genug davon!“), warum die Familie sieben Autos, zwei Schneemobile, zwei Motorräder und ein riesiges Hausboot besitzt, wenn das Benzin jetzt so teuer wird ( im Moment ungerechnet ca. 0,75 € pro Liter Normalbenzin, vorher ca. 0,50 €) und sie ja eigentlich nur zu fünft sind („Wir können es uns halt leisten…“) und so weiter.

Alles in allem hatten eigentlich alle immer dieselbe Meinung, nämlich, dass alles ganz normal sei und die Europäer viel zu pingelig. Ich war entsetzt über die allgemeine Ignoranz der Menschen, darüber, wie Regierung und Fernsehen der Bevölkerung Bildung vorenthielten, einzig und allein, um freie Bahn zu haben, keine Fragen beantworten zu müssen und weiter von der kräftig zahlenden Petrochemie profitieren zu können.

Aber auch wenn ich mit vielen Kanadiern oft verschiedener Meinung war, habe ich dieses Volk als sehr freundlich und offen erlebt. Bei Feiern, Familienfesten und Partys wurde ich wie selbstverständlich in die Gemeinschaft aufgenommen und trotz gelegentlicher Verständigungsprobleme kamen wir gut miteinander aus.

Kanada ist, finde ich, ein sehr schönes Land und ich kann nur allen raten: Nutzt die Schulzeit für einen großen Austausch wie diesen oder ein Auslandsjahr, ihr werdet nie wieder so eine günstige Gelegenheit bekommen und ihr werdet unglaublich viel davon profitieren.

Carla Singer, 11c


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